“Es ist immer ein Geben und Nehmen im Leben“
Unsere Kollegin Natalia Schmidt kennt jetzt beide Seiten der Stammzellspende
Natalia lacht und sagt: „Noch zwei Stündchen, dann können die Nadeln gezogen werden“. Natalia Schmidt ist 22 Jahre alt und meine Kollegin. Ich kannte sie bis zu diesem Gesprächstermin nicht persönlich, wie auch, in einem Unternehmen, das 1.200 Mitarbeitende beschäftigt und über drei Bundesländer sowie mehrere Standorte sehr weit verstreut agiert. Nun sitzen wir hier im Zentrum für Transfusionsmedizin Ratingen-Breitscheid, genauer gesagt sitze nur ich, Natalia liegt auf einer bequem anmutenden Liege und ist an beiden Armen punktiert, es fließt sichtbar Blut. Wer beim DRK-Blutspendedienst arbeitet, kennt sich aus mit Blut und Blutbestandteilen. Unser Kernauftrag ist die Organisation von Blutspendeterminen, die Entnahme von Blutspenden, die Herstellung von Blutpräparaten aus diesen so genannten Vollblutspenden und die Bereitstellung dieser Blutpräparate zur Versorgung von Patientinnen und Patienten. Eine Stammzellspende aber ist, obwohl sie in unseren Zentren für Transfusionsmedizin fast täglich stattfindet, für die meisten von uns nicht unbedingt Alltag.
Natalia kennt die Stammzellspende
Natalia hingegen kennt die Stammzellspende aus dem Effeff. Sie arbeitet seit Sommer 2021 beim DRK-Blutspendedienst West in Münster. Dort ist sie zuständig für die Entnahme der Blutspenden - wie an allen anderen Standorten des Blutspendedienstes besteht auch dort für die Bevölkerung die Möglichkeit Blut zu spenden. Natalia betreut aber auch eine besondere Klientel: Menschen, die für sich selbst Stammzellen spenden – also die autologe Stammzellspende. Menschen, die eine Stammzelltransplantation benötigen, sind sehr krank. Meine Kollegin muss also nicht nur einfach Stammzellen entnehmen und einen medizinischen Vorgang betreuen, sie arbeitet mit Patienten in einer belastenden Situation, in der es oftmals um nicht weniger geht als um die Frage, ob diese Menschen weiterleben können oder es schlimmstenfalls vielleicht nicht schaffen. „Der direkte Kontakt zu schwerstkranken Menschen nimmt einen schon mit. Ich nehme das nicht mit nach Hause, aber die Geschichten beschäftigen einen. Ich hatte Patientinnen, die waren jünger als ich oder Ältere, die schon zum zweiten Mal kommen mussten“, beschreibt Natalia ihren Arbeitsalltag. Und ergänzt: „Man kann sich um viel Empathie und Mitgefühl bemühen, aber man kann nicht spüren, was diese Menschen durchmachen“.
Nun liegt sie selbst auf der Liege und spendet Stammzellen für einen todkranken Menschen, den sie nicht kennt. Diese Form der Stammzellspende nennt man allogene Spende. Dass Natalia hier überhaupt spenden kann, ist wie ein kleines Wunder, denn ihre Blutmerkmale müssen identisch mit den Merkmalen des Patienten sein. Sie ist quasi so etwas wie der genetische Zwilling für den Patienten oder die Patientin. Ich möchte von ihr wissen, wie sie zur Stammzellspenderin wurde. Wie kam es dazu? Und hier zeigt sich, dass Leben zu retten kein Zufall ist. Natalia hat sich mit 18 dazu entschlossen, Blutspenden zu gehen. Bei der ersten Blutspende nahm sie auch sofort das Angebot wahr, sich als mögliche Stammzellspenderin registrieren zu lassen. Diesen wichtigen Job übernehmen unsere Kolleginnen und Kollegen der Westdeutschen Spenderzentrale (WSZE), die auf allen Blutspendeterminen des DRK-Blutspendienst West das Angebot zur Typisierung machen. In Natalias Familie ist Krebs leider ein Thema gewesen. Ihr Großonkel hatte ein Leber-Karzinom und hat lange auf ein Spenderorgan gewartet. Letztlich hat er dann eins bekommen, ist aber nach der Transplantation gestorben. Natalia: „Das war für mich der Moment, in dem ich mir gesagt habe, ich gehe wenigstens Blut spenden. Organe kann ich nicht spenden, aber mit Blut kann ich auch Leben retten“.
Natalia erzählt, dass sie ihre Ausbildung zur Arzthelferin in einer Dialysepraxis absolviert hat. Dort hatte sie bereits viel mit chronisch kranken Patienten zu tun. Patienten bis zur Transplantation zu begleiten und auch die Nachbehandlung mitzuerleben, war der Ansporn für unsere Kollegin, beruflich in diesem Bereich bleiben zu wollen. „Den Bereich Stammzell- und Blutspende fand ich auch mega interessant.“ Nach Abschluss der Ausbildung konnte sie direkt zum Blutspendedienst wechseln. Diesen Schritt hat sie nie bereut. „Der Job ist abwechslungsreich. Wir haben auf der einen Seite die Apherese, bei der schwer krebskranke Patienten spenden und auf der anderen Seite die Blutspende, bei der gesunde Menschen Blut spenden und dann rausspazieren, als wäre nie etwas gewesen. Da ist alles dabei.“
Natalia spendet Stammzellen
Am Tag von Natalias Stammzellspende glüht WhatsApp auf ihrem Handy – das ganze Team aus Münster hat ihr noch geschrieben und alles Gute gewünscht.
Den Brief der WSZE, dass sie ein Match für einen Patienten ist, hat Natalia an ihrem 22. Geburtstag erhalten. Dann kamen die Vorbereitungen, weitere Untersuchungen, die Aufklärung und die finale Frage: Willst du es wirklich machen? Wenn der Patient in die Chemotherapie geht, ist der Prozess unumkehrbar. Für Natalia begann damit die konkrete Vorbereitung auf die Spende – 5 Tage lang hat sie sich ein Medikament mit dem Wachstumsfaktor G-CSF gespritzt. Das sei in etwa so wie eine Thrombosespritze, sagt sie. Der hormonähnliche, körpereigene Stoff G-CSF sorgt für eine vermehrte Produktion von Stammzellen und deren Ausschwemmung in die Blutbahn. Das ist wichtig, damit eine ausreichende Menge an Stammzellen über die Armvene entnommen werden kann. Natalia beschreibt die Nebenwirkungen. „Man fühlt sich alt, alles fällt einem schwerer als sonst“.
Die Stammzell-Apherese dauert ca. fünf Stunden – fünf Stunden, in denen man hoffentlich dazu beiträgt, ein Leben zu retten. Natalia sagt, sie habe es sich echt schlimmer vorgestellt, es sei wirklich auszuhalten. „Die Betreuung durch die Kolleginnen hier in Breitscheid ist aber auch echt super“.
Bevor Natalia die Stammzellentnahme verlassen kann, wird gemessen, ob die benötigte Anzahl an Stammzellen vorhanden ist. Eine Probe geht beim Blutspendedienst direkt ins Labor. Wenn alles passt, dann gehen Natalias Stammzellen direkt am nächsten Tag über einen Kurier in das Krankenhaus, in dem ihr genetischer Zwilling auf die lebensrettende Gabe wartet.
Zum Abschluss unseres Zusammentreffens ist es Natalia noch wichtig zu sagen, dass mehr jüngere Leute sich trauen sollten, Blut zu spenden und sich typisieren zu lassen. „Ich habe auch bei mir im Umkreis Freunde, die mir dann sagen: „Och ne ich habe da Angst vor.“ Klar, das ist eine Überwindung, aber man muss sich immer vor Augen halten, wofür man es macht. Wenn ich damit ein Leben retten kann, dann ist das auch für mich selbst ein schönes Geschenk."
Sie weiß, dass der Tag der möglichen Rettung für Leukämiekranke durch eine Stammzellspende oftmals erst durch viele Blutspenden möglich wird. „Ich frage mich manchmal, warum viele Menschen es als selbstverständlich hinnehmen, dass Blut ihnen im Bedarfsfall helfen wird, dass es einfach da ist. Und im Umkehrschluss die Frage, würde ich es denn auch für jemanden anderen machen - es ist immer ein Geben und Nehmen im Leben.“
Doppelt Leben retten: Blutspenden und Stammzell-Typisierung
Allein im Versorgungsgebiet des DRK-Blutspendedienst West werden täglich bis zu 3.500 Blutkonserven benötigt. Mit einer Blutspende kann bis zu drei kranken oder verletzten Menschen geholfen werden. Eine Blutspende ist Hilfe, die ankommt und schwerstkranken Patienten eine Überlebenschance gibt. Besonders chronisch Kranke und Krebspatientinnen und -patienten sind dringend auf eine fortlaufende Versorgung mit Blutpräparaten angewiesen – viele benötigen Thrombozyten (Blutplättchen), die neben roten Blutkörperchen und verschiedenen Plasmapräparaten aus einer Blutspende gewonnen werden. Blutplättchen sind jedoch nur vier Tage haltbar! Deshalb ist der kontinuierliche Nachschub an gespendetem Blut so wichtig.
Alle Termine, aktuelle Maßnahmen und Infos rund um das Thema Blutspende in NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sind unter der kostenfreien Hotline 0800 11 949 11 (montags bis freitags 8.00 - 18.00 Uhr) oder unter www.blutspende.jetzt abrufbar.
Darum sind Stammzellspenden so wichtig
Pro Jahr erkranken allein in Deutschland rund 14.000 Menschen an Leukämie, darunter ca. 600 Kinder und Jugendliche. Für die meisten ist eine Knochenmark- oder Blutstammzellspende die einzige Chance zu überleben. Entscheidend bei einer solchen Spende für einen erkrankten Patienten ist die genetische Ähnlichkeit zwischen Spender und Patient. Nur wenn die Merkmale wirklich übereinstimmen, ist eine erfolgreiche Transplantation möglich. In den meisten Fällen ist eine Spende in der Verwandtschaft leider nicht möglich (Bei Geschwistern des Patienten liegt die Wahrscheinlichkeit als Spender infrage zu kommen bei 25 Prozent). Deswegen ist es wichtig, dass sich so viele Menschen wie möglich typisieren lassen. Wer zwischen 18 und 40 Jahren alt ist, gesund und noch nicht in einer anderen Datei als Knochenmark-/Stammzellspender registriert ist, kann sich gerne telefonisch oder auf der Internetseite (www.wsze.de) ein Typisierungsset kontaktlos nach Hause bestellen.
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